Der richtige Moment für den ersten Schulweg allein - ein Interview mit Daniela Romankiewicz, Erziehungswissenschaftlerin Bachelor (Univ.)
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Viele Erstklässler möchten sofort allein zu Schule laufen, andere brauchen noch lange Begleitung. Wie finden Eltern das richtige Maß zwischen Förderung und Loslassen?
Wichtig ist, dass Kinder ihren Schulweg mit allen Gefahrenstellen kennenlernen und ihn zunächst gemeinsam mit ihren Eltern einüben. Auch der Entwicklungs- und Wissensstand des Kindes spielt eine große Rolle. Eltern können meist selbst am besten beurteilen, ob ihr Kind bereits in der Lage ist, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen. Dazu gehört, dass das Kind die wichtigsten Verkehrsregeln kennt und einschätzen kann, wie schnell sich verschiedene Verkehrsmittel bewegen oder ob es noch rechtzeitig die Straße überqueren kann. Gleichzeitig ist das Loslassen für die persönliche Entwicklung sehr wichtig, denn Kinder lernen dadurch, eigene Erfahrungen zu machen und mutig zu sein. Das stärkt Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit. Auch das soziale Miteinander spielt eine Rolle, da viele Kinder den Schulweg gemeinsam mit Mitschülern oder Freunden zurücklegen oder sich an Haltestellen treffen.
Ab wann sind Kinder bereit, den Schulweg allein zu meistern? Woran erkennen Eltern, dass ihr Kind so weit ist?
Wie gesagt, das ist sehr unterschiedlich und hängt nicht nur vom Schulweg selbst, sondern auch vom Kind ab. Grundsätzlich können Kinder schon ab dem Schulbeginn selbstständig unterwegs sein, wenn der Weg gut geübt wurde und das Kind die Verkehrsregeln sicher beherrscht. Wichtig ist natürlich auch, dass das Kind sich selbst bereit fühlt, also sich traut. Viele Schulen haben zudem feste Regeln, etwa dass Kinder erst dann mit dem Fahrrad oder Roller kommen dürfen, wenn sie den sogenannten Fahrradführerschein erworben haben. Das ist meist am Ende der dritten oder vierten Klasse der Fall.
Sprechen Sie über das Thema mit Ihrem Kind. Wenn Sie Ihrem Kind die selbständige Bewältigung des Schulweges zutrauen, ermutigen und unterstützen Sie das Alleinlaufen.
Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sollte ein Kind mitbringen, um sicher allein unterwegs zu sein?
Damit ein Kind sicher allein zur Schule kommen kann, braucht es eine Kombination aus motorischen, kognitiven, sozialen und emotionalen Fähigkeiten. Sicheres und aufmerksames Gehen, Koordination von Blickbewegungen und Körperbewegungen (beim Schauen nach links und rechts) und eine gute Reaktionsfähigkeit helfen dem Kind den Weg souverän zu gehen. Es sollte Verkehrszeichen, verschiedene Verkehrsmittel und mögliche Gefahrenquellen auf dem Weg kennen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, die Geschwindigkeit herannahender Fahrzeuge realistisch einschätzen zu können. Die Eltern sollten mit ihrem Kind den Schulweg gut einüben und dabei den sichersten, nicht unbedingt den kürzesten Weg wählen. Gemeinsam müssen sie überlegen, welche Straßen oder Ampeln zu überqueren sind und ob es vielleicht besser ist, einen etwas längeren, aber sicheren Weg zu nehmen.
Auch eine gewisse emotionale und soziale Reife sind Voraussetzung für einen sicheren Schulweg ohne Begleitung: Selbstvertrauen haben, Situationen richtig einschätzen (wann droht Gefahr, wann und wo kann ich um Hilfe bitten) und Nein sagen können.
Wie können Eltern ihr Kind darauf vorbereiten, richtig zu reagieren, wenn es von Fremden angesprochen wird?
Kinder sollten wissen, dass Erwachsene in der Regel keine Hilfe von Kindern benötigen. Sie sollen körperlichen Abstand halten, insbesondere zu Autotüren, und sich nicht mit Versprechungen wie Süßigkeiten, Geld oder Tieren locken lassen. Wichtig ist auch, dass sie auf ihr Bauchgefühl hören. Alles, was sich komisch oder unwohl anfühlt ist ein Zeichen, sich zu entfernen oder laut um Hilfe zu rufen. Dabei sollten Kinder lernen, gezielt Passanten anzusprechen, wie zum Beispiel „Sie mit der roten Jacke!“. Ich glaube die Polizei bietet hierfür auch Schulungen für Schulen an.
Was sind typische Unsicherheiten oder Ängste, die Kinder auf dem Schulweg erleben?
Viele Kinder haben Angst vor Dunkelheit, Tunneln, Unterführungen oder stark befahrenen Straßen. Auch verlassene Wege ohne Ampeln oder Zebrastreifen können Unsicherheit auslösen. Dazu kommen Ängste vor sogenannten „Brennpunkt“-Plätzen, an denen Drogen oder Alkohol konsumiert werden, sowie vor Konflikten, Raufereien oder Mobbing durch andere Kinder auf dem Schulweg oder an Haltestellen
Wie können Eltern ihren Kindern helfen mit ihren Ängsten umzugehen – ohne zu sehr behütend zu sein?
Das Wichtigste ist, miteinander zu reden. Eltern sollten Ängste ernst nehmen, sie ansprechen und gemeinsam Lösungen finden. Dabei hilft es, das Kind aufzuklären, ihm aber gleichzeitig Vertrauen zu schenken und es ausprobieren zu lassen. Um die Sicherheit zu erhöhen, kann über Hilfsmittel wie ein Handy für Notfälle oder eine spezielle GPS-Uhr nachgedacht werden, mit der Eltern nachvollziehen können, ob das Kind gut an der Schule angekommen ist. Stärken Sie die Selbstwirksamkeit Ihres Kindes und geben Sie emotionale Sicherheit (Mut machen, Vertrauen vermitteln , „ich denk an Dich, wenn Du losläufst und freu mich, wenn Du gut angekommen bist“ ....
Manchmal hilft auch ein schrittweises Loslassen. Man könnte den Weg zuerst mehrmals gemeinsam gehen, dann das Kind schrittweise ein Stück vorausgehen lassen und mit Abstand nachfolgen, schließlich nur noch ein Stück begleiten und im letzten Schritt das Kind allein gehen lassen.
Viele Eltern haben selbst Angst ihr Kind allein losziehen zu lassen. Wie können sie mit dieser eigenen Unsicherheit umgehen?
Eltern sollten sich fragen, ob sie alles getan haben, um ihr Kind bestmöglich vorzubereiten, und sich bewusst machen, wovor genau sie Angst haben. Eine Reflexion der eigenen Kindheit kann ebenfalls helfen: Wie war der eigene Schulweg und wie wurde man selbst darauf vorbereitet? So können Eltern herausfinden, was sie brauchen, um Vertrauen zu fassen.
Wenn Eltern ihre Ängste zu stark auf das Kind übertragen, kann das dessen Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein schwächen. Das Kind entwickelt möglicherweise die Überzeugung, etwas nicht zu können oder nie zu schaffen. Außerdem kann es sich isoliert oder ausgegrenzt fühlen, wenn andere Kinder den Schulweg allein bewältigen, während es noch begleitet wird.
Was lernen Kinder eigentlich auf dem Schulweg? – abgesehen von Verkehrsregeln?
Auf dem Schulweg lernen Kinder weit mehr als nur das richtige Verhalten im Straßenverkehr. Sie sammeln wertvolle Erfahrungen mit Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit, indem sie eigenständig Entscheidungen treffen und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Außerdem entwickeln sie durch das gemeinsame Gehen oder Fahren mit Freunden soziale Kompetenzen - sie lernen, aufeinander Rücksicht zu nehmen, Konflikte zu lösen und sich gegenseitig zu unterstützen. Der tägliche Schulweg trägt somit wesentlich zum persönlichen Wachstum der Kinder bei, da sie Selbstvertrauen gewinnen und Sicherheit im Alltag erlangen
Und was verpassen sie, wenn sie täglich mit dem Auto gebracht werden?
Kinder, die regelmäßig mit dem Auto gefahren werden, haben weniger Möglichkeiten, sich im Straßenverkehr zu üben und soziale Kontakte zu pflegen. Sie verpassen außerdem die Bewegung an der frischen Luft, die nicht nur die körperliche Fitness, sondern auch die Konzentration fördert. Hinzu kommt, dass durch das viele Bringen und Abholen häufig Verkehrschaos vor den Schulen entsteht, was wiederum eine zusätzliche Gefahrenquelle darstellt. Der Schulweg ist also wie gesagt mehr als nur ein Weg zur Schule – er ist ein wichtiger Bestandteil der Entwicklung von Selbstständigkeit, Verantwortung und sozialer Kompetenz.