Auf der Suche nach Identität - das Thema der Pubertät
Das Jugendalter ist eine spannende und aufregende Zeit!
· Das erste Mal so richtig verliebt!
· Die beste Kindergartenfreundin hat eine neue beste Freundin!
· Der erste Liebeskummer…
· Das erste Mal rasieren!
· Hilfe, ich bekomme immer mehr Pickel!
· Ich muss nur an ihn denken, kann mich nicht auf die Schule konzentrieren und nun habe ich in Mathe eine Fünf bekommen.
· Boah, bin ich cool und voll der Checker! Ich krieg alle Mädchen rum.
· Oh je, ich bin viel zu dick und unsportlich. Alle anderen sind viel schöner.
· Der Abschiedskuss von Mama ist sowas von peinlich! Ich bin doch schon groß.
Vieles wird im Teenageralter plötzlich infrage gestellt und mit ganz anderen Augen gesehen.
Nicht nur der Körper verändert sich, sondern auch das Denken und Fühlen. Im Jugendalter findet ein „Umbauprozess“ des Gehirns statt, bei dem sich einzelne Bereiche im Gehirn nicht zeitgleich und synchron entwickeln. Teenager durchleben ein Gefühlschaos, es fällt ihnen schwer ihre Emotionen und ihr Verhalten zu steuern. Riskantes Verhalten ist eine mögliche Begleiterscheinung, getriggert durch die Suche nach Anerkennung und die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin. Der Freundeskreis gewinnt an Bedeutung und die Qualität der Freundschaftsbeziehungen verändert sich: Waren es zuvor stark aktivitätsbezogene Freundschaften, spielt jetzt verstärkt das innere Erleben eine Rolle.
Für Eltern ist es nicht immer leicht, Kinder durch die Pubertät zu begleiten. Oft vermissen sie ihr „kleines Kind“ und haben manchmal ein unbekanntes Wesen („Pubertier“) in der Familie, das launisch anmutet, Grenzen auslotet, sich selbst erfahren möchte, sich aber auch bewusst abgrenzt und auf seine Eigenständigkeit pocht. Jugendliche müssen sich einerseits auf dem Weg des Erwachsenwerdens von den Eltern ein Stück weit ablösen, andererseits brauchen sie ihre Eltern auch weiterhin. Ein stabiles Elternhaus und ein guter Kontakt zu den Eltern ist eine ganz zentrale Ressource bei der Bewältigung der im Jugendalter anstehenden Entwicklungsaufgaben. Entwicklungsaufgaben sind Aufgaben, die sich einem Menschen zu bestimmten Phasen in seinem Leben stellen. Sie ergeben sich einerseits aus der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung, zum anderen werden sie auch durch die Erwartungen der Umwelt an die Person herangetragen und moderiert. Zu den Entwicklungsaufgaben im Jugendalter zählen z.B.:
· die Akzeptanz der körperlichen Entwicklung und sich verändernden Erscheinung und der Umgang mit dem eigenen Körper,
· die Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Identität und Rolle
· der Gewinn größerer emotionaler Unabhängigkeit von den Eltern und anderen Erwachsenen, der Aufbau neuer und reiferer Beziehungen zu Personen beiderlei Geschlechts an,
· die Vorbereitung auf eine Partnerschaft und Familie,
· die Vorbereitung auf eine berufliche Karriere,
· die Auseinandersetzung mit Wertvorstellungen sowie sozial und ethisch verantwortlichem Handeln…
Die Fragen „Wer bin ich?“ und „Wie möchte ich sein?“ „Wie sehen mich die anderen?“ Wie sehe ich mich selbst?“ „Wie möchte ich, dass die anderen mich sehen?“ gewinnen an Bedeutung. Es geht im Jugendalter darum, ein einheitliches und zugleich differenziertes Kernselbst zu entwickeln. Was macht mich aus über alle situativen Selbstthematisierungen und die verschiedenen Entwicklungsphasen hinweg? Als Kernselbst wird das grundlegende Gefühl der eigenen Identität bezeichnet. Die Identitätskonstruktionen pendeln zwischen dem Wunsch, eine ganz einmalige Persönlichkeit und etwas Besonderes zu sein und dem Wunsch, dazu zu gehören und so zu sein wie alle anderen.
Insbesondere bei Jugendlichen, deren Elternhaus eine andere Herkunftskultur hat, die nicht so sehr den Individualismus, das eigene Leben und die Selbstverwirklichung, sondern stärker gemeinschaftsbezogene Werte und Traditionen fokussiert, ist es gar nicht leicht, seine eigene Identität zu finden und auszubalancieren.
Stereotype Erwartungen und Zuschreibungsprozesse können die Identitätsentwicklung insbesondere erschweren, wenn sie dem Selbsterleben des Menschen widersprechen bzw. auch einfach aufgrund von falschen Annahmen erfolgen oder bestimmte Aspekte in den Vordergrund stellen, die den Jugendlichen nicht ausmachen. So werden Menschen aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe als oft als anders und fremd wahrgenommen. Dabei sind sie womöglich hier aufgewachsen und fühlen sich hier zuhause. Die Frage, woher sie kommen, kann diskriminierend, verletzend und ausgrenzend erlebt werden. Sie werden aufgrund ihrer äußeren Erscheinung „anders-gemacht“ (Prozess des Otherings), womit ihnen eine selbstverständliche Zugehörigkeit erst einmal abgesprochen wird. Diskriminierende Erfahrungen erschweren es jungen Menschen, sich unbeschadet zu entwickeln und ihren eigenen Weg zu finden.
Die Gefühle sind im Jugendalter intensiv und verletzlich, sie reichen von „Mir gehört die ganze Welt und mir wird schon nichts Schlimmes passieren“ bis hin zu depressiven und suizidalen Gedanken. Deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen und in Beziehung zum jungen Menschen zu bleiben.
Während Kinder noch stärker die Spiegelungen und Zuschreibungen durch ihre primären Bezugspersonen/Eltern übernehmen, stellen Jugendliche diese aufgrund ihrer geistigen Fähigkeiten in höherem Maße kritisch infrage. Sie sind auf der Suche nach sich selbst und einer eigenen Position, die sich nicht selten erst einmal durch Widerspruch heranbildet.
Für Eltern ist die Pubertät der Kinder oft keine leichte Phase. Für viele Jugendliche auch nicht. Im Jugendalter gewinnt die Peergroup an Bedeutung. Jugendliche verbringen vermehrt Zeit mit Freundinnen und Freunden im realen oder digitalen Raum. Selbstentwürfe werden ausprobiert, korrigiert oder verworfen, Gefahrenmomente werden leicht unterschätzt – insbesondere auch jene in den (Sozialen) Medien, die nicht nur unrealistische Schönheits- und Körperideale transportieren, sondern auch einen Raum darstellen, der sich auf die aufkeimende Sexualität auswirkt.
Jugendliche suchen auch oft gezielt Grenzerfahrungen, um sich selbst zu erfahren und zu spüren. Sie möchten ihre eigenen Potenziale entdecken, ihre Kompetenzen erweitern und manchmal auch einfach aus einem belastenden Gedankenkarussell und Leistungsanforderungen entfliehen. Sie schlagen buchstäblich über die Stränge und drohen dabei, den Halt zu verlieren.
Gerade in dieser aufregenden Lebensphase „Jugendalter“ sind liebevolle und verlässliche Eltern wichtig. Sie helfen dem jungen Menschen, ein realistisches, positives Selbstbild und optimistische Zukunftsaussichten zu entwickeln. Bitte halten Sie Kontakt zu ihrem Teenager, interessieren Sie sich für seine Interessen, Träume, Sorgen… und fördern Sie den Identitätsfindungsprozess ihres Kindes.
Sie fragen sich jetzt sicher, wie Sie das tun können?
· Geben Sie ihrem Kind wertschätzendes und konstruktives Feedback durch Ich-Botschaften, die ihm wertvolle Informationen geben, wie es selbst und sein Verhalten gerade auf andere Menschen wirkt: Ich finde es großartig, wie du dich für den Tierschutz einsetzt! Ich bin irritiert über deine neue Frisur und weiß noch nicht, ob ich deine pinken Haare schön finde…
· Vermeiden Sie Vorwürfe und Pauschalaussagen: Du bist immer unordentlich…
· Unterstützen und fördern Sie Ihr Kind dabei, Neues auszuprobieren und Interessen und Hobbys für sich zu finden: eine neue Sportart ausprobieren, ein (anderes) Instrument lernen, an einem Theaterworkshop teilnehmen…
· Ermöglichen Sie dem Kind die Teilhabe an unterschiedlichen sozialen Lern- und Erfahrungsräumen wie z.B. die Teilnahme an einer Jugendfreizeit, das Verbringen von Zeit im Jugendtreff, Ausgehen mit Freunden und Freundinnen im altersgemäßen Rahmen…
· Fördern Sie die Wahrnehmung eigener Wünsche und Bedürfnisse bei ihrem Kind und die offene Kommunikation darüber wie z.B. „Wie geht es Dir damit?“, „Was fühlst du, wenn …“, „Was brauchst du, damit es dir wieder besser geht?“…
· Seien sie authentisch und geben Sie ihm Gelegenheit, auch die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen und zu respektieren wie z.B. „Ich mache mir Sorgen um Dich, wenn du dich nicht zur verabredeten Zeit zuhause bist oder wenigstens anrufst!“, „Meinst Du nicht, dass deine Oma traurig sein könnte, wenn Du sie am Geburtstag nicht anrufst?“…
· Bleiben Sie im Kontakt, setzen Sie sich mit dem Kind auseinander, sprechen Sie über Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse mit dem Kind und respektieren Sie, wenn es anders denkt und fühlt, als sie es selbst tun wie z.B. „Mir war die Sicherheit immer sehr wichtig, aber ich kann auch verstehen, wenn du etwas Neues ausprobieren möchtest.“…
· Ermöglichen Sie dem Kind, sich mit unterschiedlichen Sichtweisen und Werten auseinander zu setzen. Indem Sie z.B. mit ihm diskutieren über lebensphilosophische Themen diskutieren, welche Werte ihm in seinem Leben wichtig sind…
· Signalisieren Sie dem jungen Menschen, dass er seinen eigenen Weg finden muss und auch gehen darf, Sie ihn deshalb nicht weniger lieben und er Teil der Familie bleibt: Er hat das Recht auf sein eigenes Glück und selbstbestimmt zu leben. Er ist nicht dazu da, Ihre Erwartungen zu erfüllen oder Ihren Lebenstraum stellvertretend für Sie zu realisieren.
· Ermöglichen und fördern Sie die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und den Aufbau eines positiven Leistungsselbstkonzepts: Das war dein Verdienst! Ohne deine gute Pflege hätte das Vogelküken nicht überlebt. Ich fand es großartig, wie du dich hier eingesetzt hast.
· Geben Sie ihm einen (geschützten) Raum, Verantwortung zu übernehmen, wie z.B. für einen Hund, für ein gemeinsames Vorhaben, für seine Freizeitgestaltung oder Konsumverhalten und unterstützen Sie, die Reflexion hierüber.
· Helfen Sie dem Jugendlichen, sich selbst zu steuern und eigene Lösungen zu finden.
Das Kind braucht im Jugendalter die Freiheit, um sich selbst zu finden und zugleich Bindung und Rückhalt, um gut durch die Pubertät und Adoleszenz zu kommen. Freiheit im Sinne von grenzenloser Freiheit wird eher als mangelnde Wertschätzung und Bedeutungslosigkeit gewertet: „Meinen Eltern bin ich doch völlig egal. Sie merken noch nicht einmal, wenn ich weg bin!“ (Zitat, 17- Jähriger)
Jugendliche brauchen die Aus-Einander-Setzung und manchmal auch Reibefläche, um sich selbst zu finden und wahrgenommen zu fühlen. Dabei ist die Erfahrung sehr wichtig, dass die eigenen Kinder eine andere Meinung haben dürfen, ohne deshalb die Beziehung zu gefährden.
Grenzen sind auch im Jugendalter wichtig, aber diese sollten altersentsprechend und prinzipiell auch verhandelbar sein. Regeln und Aufgaben in der Familie sollten gemeinsam besprochen und aufgestellt werden. Nicht immer wird es funktionieren!
Eigene Fehler machen zu dürfen und aus seinen Fehlern lernen zu können, ist ganz wichtig, um zu einer starken und selbstbewussten Persönlichkeit heranzuwachsen. Fallen und wieder aufstehen will gelernt sein und hierbei braucht es die Familie, die den Teenager unabhängig von Erfolg oder Misserfolg wertschätzt. Eltern sind hier nach wie vor wichtige Vorbilder, wie sie mit Konflikten, Niederlagen oder auch Momenten des Scheiterns umgehen. In jeder Krise liegt auch eine Chance!
Es gibt ein sehr schönes Zitat von Khalil Gibran (1883-1931): „Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel.“
Den Umgang mit den Flügeln und das Fliegen können Kinder im Verlauf des Jugendalters lernen, wenn sie den nötigen Freiraum und verlässlichen Halt von ihren Eltern bekommen und sich die Eltern-Kind-Beziehung zu einer partnerschaftlichen Beziehung mehr und mehr auf Augenhöhe weiterentwickelt.